Ein Verschenke-Regal vor dem Thiembuktu und die Frage nach der sozialen Stadt-Beobachtungen in der Nachbarschaft Buckau
Wie wollen wir als Nachbarschaft miteinander leben und unser gemeinsames Umfeld gestalten? Diese komplexe Frage stellen wir uns als Wohn- und Projekthaus Thiembuktu schon seit vielen Jahren in Magdeburg Buckau.
Wir fragen aber nicht nur, sondern haben über die Jahre immer wieder eigene Ideen entwickelt und auch mögliche (Teil-)Antworten gefunden. Die vielen Menschen, die im Thiembuktu zusammen gewohnt haben bzw. aktuell wohnen, haben dabei stets so unterschiedliche Lösungen gefunden, wie es unterschiedliche Menschen gab und gibt. Die Frage nach dem sozialen Miteinander in der Nachbarschaft scheint uns dabei
niemals abgeschlossen. Einfache und immer gleiche Lösungen kann es unserer Meinung nach nicht geben, wenn es doch um das Miteinander von Menschen geht.
Dennoch gab und gibt es für uns als Wohn- und Projekthaus trotz aller Komplexität der Eingangsfrage die klare Überzeugung, dass ein nachbarschaftliches Miteinander im Stadtteil nur im Rahmen eines gleichberechtigten Miteinanders funktionieren kann, in dem ausgrenzendes und diskriminierendes Verhalten keinen Platz hat und in dem die unterschiedlichen Erfahrungen und Lebenssituationen von Menschen ernst genommen werden. Dazu gehört für uns auch, dass sozialen und wirtschaftlichen Notlagen nicht durch Vereinzelung und Ausschluss begegnet wird, sondern mit Hilfsbereitschaft, Solidarität und Achtsamkeit.
Vor allem in den letzten Jahren beobachten wir hier in der Nachbarschaft einen zunehmend ökonomischen Druck auf dem Wohnungsmarkt, der in unserem Erleben das soziale Miteinander der Nachbarschaft massiv gefährdet. Die Baustellen für Luxussanierungen und Neubauten im hochpreisigen Wohnsegment sind inzwischen allgegenwärtig. Die Zahl der Eigentumswohnungen steigt und Projekte wie das Buckau-Quartier zeigen, wer im sogenannten „Szene-Viertel“ Buckau als zukünftige*r Bewohner*in angesprochen werden soll. Gleichzeitigt stellen wir fest, dass vor allem in den letzten zwei Jahren kleine Geschäfte geschlossen haben, weil sie sich die Ladenmiete in der Nachbarschaft nicht mehr leisten konnten.
In diesem Kontext bewerten wir die Beendigung der Arbeit der Kleiderkammer der AWO SPI gGmbH Ende 2018 als äußerst kritisch. Hiermit ist im Stadtteil ein aus unserer Sicht wichtiges soziales Angebot entfallen. Das Projekt wurde zudem zu einem Zeitpunkt beendet (Winter!), an dem eine Grundversorgung mit warmer Kleidung besonders wichtig ist.
Die Kleiderkammer in Buckau war eines der ältesten Projekte des AWO-Landesverbandes LSA und als direkte Nachbar*innen des Projekts konnten wir sehr gut den hohen Bedarf dieses Projekts erleben. Täglich warteten vor den Räumlichkeiten eine Vielzahl an Menschen auf neue Kleidung und auch das Spendenaufkommen von Kleidung und anderen Sachspenden war hoch. Aus unserer Perspektive war die Kleiderkammer als soziales Projekt in Buckau sehr erfolgreich.
Auf Nachfrage bei der Geschäftsführung der AWO SPI gGmbH nach dem Grund der Beendigung des Projekts wurde uns erklärt, dass ein wirtschaftlicher Betrieb der Kleiderkammer nicht mehr möglich sei. Als Ursachen für die Schließung der Kleiderkammer in Buckau wurden von der AWO SPI gGmbH vor allem der Wegfall von Personalfinanzierung durch das Jobcenter und eine unsichere Finanzierung der weiteren Kosten durch die Stadt genannt. Dass Personalkosten zu einem Problem für Kleiderkammern werden, ist nicht neu und führt nicht zum ersten Mal zur Schließung dieser.
Eine Nachfrage bei der Stadt führte zu der Antwort, dass die Förderung der Kleiderkammer geplant gewesen sei und dieser grundsätzlich nichts im Wege gestanden habe.
Wir fragten bei der Stadt ebenfalls nach, wie der Wegfall des Angebots der Kleiderkammer in Buckau mit einer sozialen Stadtentwicklung einer wachsenden Großstadt wie Magdeburg in Einklang zu bringen ist, und ob eigene Projekte von Seiten der Stadt geplant seien, wenn die Kleiderkammer nicht mehr wirtschaftlich von der AWO SPI gGmbH betrieben werden könne. Daraufhin erklärte uns die Stadt Magdeburg, dass der Wegfall der Kleiderkammer in Buckau zwar „sehr bedauerlich“ sei, der Bedarf an Kleidung aber „durchaus gegeben“ sei.
Es wurde durch die Stadt dabei explizit auf das Angebot der AQB gGmbH verwiesen.
Das von der AQB gGmbH in Buckau betriebene Sozialkaufhaus entspricht nach unserer Auffassung jedoch nicht dem Angebot einer Kleiderkammer, bei der Kleidung kostenlos! an Personen abgegeben wird und auch die Einschätzung, dass der Bedarf an einer Grundversorgung mit Kleidung gegeben ist, sehen wir kritisch. Bis heute (Oktober 2019) stehen regelmäßig Personen vor der verschlossenen Tür der ehemaligen Kleiderkammer, weil sie Kleidung benötigen oder Kleiderspenden abgeben möchten. Ein Bedarf scheint aus unserer Sicht also auf jeden Fall vorhanden zu sein, und nach unserem Kenntnisstand ist die Anzahl an Personen mit Kleidungsbedarf in den verbleibenden Kleiderkammern ebenfalls sehr hoch.
Dass die Kleiderkammer in Buckau einfach wegfällt und sich die Beteiligten nicht gemeinsam für eine Lösung zur Weiterführung des Projekts einsetzen bzw. den Wegfall erst auf Nachfrage überhaupt nach außen thematisieren, ist für uns erschreckend. Der Wegfall der Kleiderkammer mag der wirtschaftlichen Situation der AWO SPI gGmbH zugutekommen und die Stadt mag den Wegfall des Angebots sehr bedauerlich finden, am Ende geht der Wegfall der Kleiderkammer jedoch auf Kosten derjenigen Personen, die auf das Angebot angewiesen sind.
Der Wegfall der Kleiderkammer in Buckau aus wirtschaftlichen Gründen und die Reaktion der Stadt auf den Umgang mit dieser Situation stimmen uns im Kontext der gleichzeitig stattfindenden Baumaßnahmen von hochpreisigem Wohnraum in der Nachbarschaft mehr als nur nachdenklich. Soziale Angebote sind elementar für eine solidarische Nachbarschaft und wir stellen uns die Frage, wie die Stadt im Kontext der Wohnraumaufwertung in Buckau (und in anderen Stadtgebieten) mit diesen in Bezug auf eine soziale Stadtentwicklung umgehen wird.
Wir als Wohn- und Projekthaus sehen vor allem die Nachbarschaften selbst als wichtige Akteurinnen, um etwas gegen den Wegfall sozialer Angebote und für die Aufrechterhaltung eines solidarischen Miteinanders zu unternehmen und warnen davor, sich einfach auf die Stadtpolitik zu verlassen. Dies bedeutet für uns jedoch nicht, dass wir als Nachbarschaft die Stadt von ihrer Verantwortlichkeit entbinden. Im Gegenteil: Kritik an dem Vorgehen der Stadt muss deutlich zum Ausdruck gebracht werden und Forderungen nach sozialer Stadtpolitik sind elementar.
Wir werden deshalb weiter unsere eigenen Ideen entwickeln, wir wollen uns weiter in der Nachbarschaft dafür einsetzen, dass das soziale Miteinander nicht durch die Ausgrenzung bestimmter Personen gefährdet wird, denn wir alle haben das gleiche Recht, hier zu leben und die sozialen Angebote sind Teil unserer Nachbarschaft.
Auch wenn wir keine Kleiderkammer ersetzen können, so wollen wir doch zeigen, dass uns der Wegfall der Kleiderkammer in Buckau nicht unberührt lässt. Das große Verschenke-Regal vor unserem Haus ist deshalb als Einladung an die Nachbarschaft zu verstehen, sich weiter gegenseitig zu unterstützen. Bringt deshalb gerne Dinge vorbei, die ihr abgeben wollt und die zu schade zum Wegschmeißen sind und unterstützt damit
andere Personen, die diese Dinge noch nutzen können. Insbesondere Kleidung ist gerade jetzt, wenn es kälter wird, gerne gesehen.
Wir begrüßen es, wenn sich auch andere Projekte und Nachbar*innen die Frage stellen, wie das solidarische Miteinander gestaltet werden kann und sind gespannt auf weitere Ideen, Aktionen und unterschiedlichste Antworten in der Zukunft.